Wir alle wohnen! Wohnen betrifft uns alle! Wie wir wohnen, prägt uns!
Wenn ein Kind in unser Leben tritt, verändert sich das Wohnen.
Dann verändern sich auch die Anforderungen an unsere Wohnung.
Ein Kind stellt alles auf den Kopf, auch unser bisheriges Wohngefüge. Ein Kind bringt eigene Bedürfnisse mit und stellt die Bedürfnisse von Eltern vorübergehend in den Schatten.
Bisher war die Wohnung der Hafen, der Rückzugsort, die Entspannungs- und Erholungsoase, Raum für Hobbys, Freunde, Lesen, Fernsehen, Ausruhen und Partnerschaft.
Nun kommt eine neue Komponente dazu, die Wohnung wird Lebensmittelpunkt einer ganzen Familie, hier findet Wachsen und Entwicklung statt, hier tobt das Leben.
Die Wohnung ist nicht mehr nur zur Erholung und Selbstverwirklichung einzelner Bewohner da. Sondern sie ist auch ein Ort mit einer komplexen Aufgabe, Lebensmittelpunkt eines Kindes und der Raum für die Begleitung, Entfaltung und Entwicklung dieses Kindes.
Erinnern wir uns kurz noch einmal an die Definition der Bedürfnisorientierung:
„Bedürfnisorientiert ist jedes Miteinander, das die Bedürfnisse aller Beteiligten wahrnimmt und wahrt, stets unter Berücksichtigung der persönlichen Integrität aller.“
Ein bedürfnisorientiertes Familienleben bedeutet, ein gutes Gleichgewicht zu finden in der Erfüllung der Bedürfnisse von Kindern, Partnern und sich selbst.
Ein bedürfnisorientiertes Familienwohnen bedeutet, ein gutes Gleichgewicht zu finden in der Erfüllung der Wohnbedürfnisse von Kindern, Partnern und sich selbst.
Wie erkennen wir unsere Wohnbedürfnisse? Was sind meine Wohnbedürfnisse? Was sind die meines Kindes? Was sind die meines Partners?
Ich behaupte: Bedürfnisse zu erkennen und zu formulieren, ist keine leichte Aufgabe, manchmal kaum möglich. Wir sind gefangen in unserem Alltag, unseren Aufgaben und unseren Gewohnheiten. Dabei verlieren wir den Blick auf unsere (Wohn)Bedürfnisse schnell. Wie oft habe ich schon gehört: „Ist nicht ideal, aber geht schon irgendwie.“ oder „Ist ja nicht so wichtig, Hauptsache meiner Frau gefällt’s.“ oder „Wäre schon schön, aber wer kann das bezahlen.“
Viele unserer Bedürfnisse werden uns erst dann deutlich, wenn sie nicht erfüllt sind und wir etwas vermissen. Oder wenn wir im Urlaub oder bei Freunden sind und merken, wie gut uns die Umgebung dort tut.
Wenn ich an einer Bahntrasse wohne und mich über den Lärm immer wieder ärgere, werde ich es bei meiner nächsten Wohnung eine ruhige Gegend zur Voraussetzung machen. Wenn es mich nervt, dass die Nachbarin immer genau dann ein Gespräch über den Gartenzaun anzettelt, wenn ich mich gerade zum Lesen auf die Sonnenliege gelegt habe, werde ich nach Abgeschiedenheit und Privatsphäre im Garten suchen. Wenn ich bisher mit zwei Zimmern hervorragend zurechtkam, erkenne ich vielleicht, dass mir nun mit zwei Kindern in der Wohnung einfach ein Platz für mich selbst fehlt.
Im Alltag und mit dem Alltäglichen verliert sich der Blick auf das Grundsätzliche oft.
Deshalb kann es hilfreich sein, sich einmal klarzumachen, was sind denn ganz grundsätzliche Wohnbedürfnisse, die für alle Menschen erfüllt sein sollten und was sind unsere ganz individuellen Wohnbedürfnisse.
Grundsätzliche Wohnbedürfnisse bestehen für alle Menschen immer. Wenn sie langfristig unerfüllt sind, kann uns das krank machen. Grob zusammengefasst sind das die Bedürfnisse, die sich auch der Maslowschen Bedürfnispyramide zuordnen lassen, wobei heute bekannt ist, dass jedoch alle Kategorien dieser hierarchischen Aufstellung ineinandergreifen und auch aktiv werden, wenn andere Bedürfnisse noch nicht zu 100% erfüllt sind.
Angewandt auf die Wohnbedürfnisse ergeben sich 6 wesentlichen Kategorien von Bedürfnissen, wobei hier kein Anspruch auf Vollständigkeit besteht:
- Sicherheit & Schutz – bedeutet zum Beispiel:
Schutz vor Wettereinflüssen, körperliche Sicherheit, Beständigkeit, Gesundheit und Wohlbefinden, Privatsphäre, Intimsphäre, Schutz vor Lärm und schlechten Gerüchen - Erholung & Aktivität – bedeutet zum Beispiel:
Raum zum Schlafen, Erholen und Ausruhen, Stress abbauen, Raum für Hobbys, Arbeit, Sport und Spiel, Rückzug vor der Außenwelt - Gemeinschaft & Interaktion – bedeutet zum Beispiel:
Familie treffen, Freunde treffen, Reden, Spaß haben, Spielen, Streiten, Kuscheln, gemeinsam essen, Partys und Feiern - Kontrolle & Selbstbestimmung – bedeutet zum Beispiel:
Selbst bestimmen, selbst regulieren, mein Reich, Übersicht, Ordnung, Orientierung, klare Zonierung - Identifikation & Stimmigkeit – bedeutet zum Beispiel:
Mir den Raum aneignen und gestalten, Ästhetik, mein Zuhause passt zu mir, Status - Wachstum & Entwicklung – bedeutet zum Beispiel:
Sich entfalten, Selbstverwirklichung, seelisch wachsen, Erinnerungen schaffen
Alle die oben genannten Bedürfnisgruppen aus Grundbedürfnissen, Defizitbedürfnissen und Wachstumsbedürfnissen bestehen in Eltern wie Kindern. Welche Bedürfnisse Vorrang haben, kann allerdings variieren.
Individuelle Wohnbedürfnisse zu erkennen, bedarf einer Auseinandersetzung mit uns selbst, unserer Wohngeschichte, unseren Vorlieben und Interessen, unserer Kultur und unserer aktuellen Lebenssituation. Es bedarf aber auch einer Auseinandersetzung mit unseren Mitbewohnern und deren Bedürfnissen.
Nun können wir Erwachsene diese meist doch ganz gut für uns formulieren, unsere Kinder können das zumindest zu Beginn noch nicht. Und besonders bei unseren Kindern verändern sich die Bedürfnisse, die im Vordergrund stehen mit der Zeit stark.
Ein kleines Kind erlebt und erobert seine Welt vom Boden aus. Platz für Bewegung, gefahrenfreie Räume und passende Materialien spielen eine größere Rolle. – Das Bedürfnis nach Bewegung, Aneignung und Spielen wird so gefördert.
Ein jüngeres Kind sucht immer wieder die geborgene Nähe zur Bezugsperson. Die Idee, dass das Wohnzimmer frei von Spielzeug bleibt, war zumindest bei mir nur eine Illusion, bevor ich Kinder hatte. – Das Bedürfnis nach Nähe, Sicherheit und Geborgenheit spielt hier rein.
Ein älteres Kind möchte im eigenen Zimmer nicht gestört werden, es möchte selbst entscheiden in welcher Farbe die Wand gestrichen wird oder wann es aufräumt. – Das Bedürfnis nach Privat- und Intimsphäre, Mitbestimmung und Eigenständigkeit wird gefordert.
Wir sehen schon, die Bedürfnisse haben je nach Alter und Situation der Kinder ganz unterschiedliche Prioritäten und sie zu erkennen, erfordert: Dranbleiben, Reflektieren und Kommunizieren.
Und dann sind da ja auch noch unsere Erwachsenen-Bedürfnisse, denn…
„Eine Wohnung ist nur kindgerecht, wenn sie auch elterngerecht ist und umgekehrt.“
