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Affi – was? Affiliation.

Affiliation erklärt, warum du deinem Kind ein noch so schönes Kinderzimmer im Obergeschoss eures Hauses einrichten kannst, und es trotzdem bei dir im Wohnzimmer oder in der Küche spielen möchte.

Affiliation erklärt, warum es okay ist, wenn dein Teenie mit dem Handy vor der Nase auf dem Sofa neben dir chillt, es aber nicht unhöflich ist, wenn er trotzdem gerade keinen Bock hat mit dir zu reden.

Affiliation – eine Definition aus wohnpsychologischer Sicht:

Es geht um das Bedürfnis nach Zugehörigkeit, nach menschlicher Nähe, Gesellschaft und Anschluss ohne einen direkten Zweck. Dieses Bedürfnis beinhaltet nicht zwangsläufig den Wunsch nach Kommunikation und Interaktion mit dem Gegenüber. Hier kann auch ein schlichtes Beieinandersein oder ein Nebeneinandersein ausreichen. Wir kennen es vielleicht, wenn wir an einem trüben Sonntagnachmittag mit einem Buch auf dem Sofa sitzen und es genießen, dass der Partner/ die Partnerin es ebenso tut. Wir genießen die Anwesenheit, uns vertrauter Personen, ganz ohne ein gemeinsames Tun. Das Wissen, so sein zu können, wie wir sind, für niemanden glänzen zu müssen und trotzdem dorthin zu gehören, fühlt sich einfach gut an.

Ein erfülltes Affiliationsbedürfnis führt nachweislich zu psychischem Wohlbefinden.

Was bedeutet das nun für unsere Familienwohnung?

Immer wieder gibt es Seminare, die versprechen, dass Eltern die Kinderzimmer ihrer Kinder so gestalten lernen, dass diese dort schön für sich, ganz selbstständig spielen. Das scheint mir zu einseitig und zu kurz gedacht. Welches Alter haben die Kinder? Welches Bedürfnis haben die Kinder gerade? Welches Spielmaterial finden sie wo? Brauchen sie noch viel Nähe einer Bezugsperson? Brauchen sie gerade Interaktion mit anderen? Brauchen sie Aufsicht, bei dem Spiel, das sie wählen? Es hängt von vielen verschiedenen Faktoren ab, wo dein Kind sich aufhalten möchte.

Viele Eltern geben den Vorsatz: „im Wohnzimmer wird es kein Spielzeug geben“ schnell auf, weil sie merken, was für ein Unterfangen es ist, diesen Vorsatz konsequent durchzusetzen.

Als ich für mich verstanden hatte, dass meine Kinder ganz wunderbar ins selbstständige Spiel finden, wenn ich nur in ihrer Nähe bin, war alles sehr viel klarer und einfacher, auch in der Konsequenz für unsere Wohnraumgestaltung.

Natürlich darf und soll es auch spielzeugfreie Bereiche in der Wohnung geben. Aber zu überlegen, wo Gemeinschaftsbereiche sind, die alle nutzen, an denen wir unsere Zugehörigkeit finden und leben, kann helfen, diese richtig anzuordnen und einzurichten.

Wenn dein Bedürfnis nach Ruhe und Ordnung im Wohnzimmer, dem Spielbedürfnis deines Kindes entgegensteht, überlege, was du deinem Kind in diesem Bereich zum Spielen anbietest und was eher nicht und in welcher Fülle du Sachen zum Spielen anbieten musst. Bücher, Puzzle, Malutensilien und wechselnd immer mal ein Spielzeug, das gerade hoch im Kurs steht bei deinem Kind, reichen vielleicht im Wohnzimmer aus. Zum Bauen meisterhafter Bauwerke, die auch mal ein paar Tage stehen bleiben dürfen oder zum Toben und Klettern nutzt ihr besser einen anderen Bereich in der Wohnung. Sich klarzumachen, dass nicht jeder Spielwunsch zu jeder Zeit im Gemeinschaftsbereich erfüllt sein muss, aber eben das Affiliationsbedürfnis an sich, kann uns helfen, die Zimmer klarer einzurichten, so dass sich alle Familienmitglieder wohlfühlen.

„Jetzt leg doch mal dein Handy weg!“

Wenn wir Jugendliche sehen, die entspannt mit dem Handy auf dem Sofa liegen, während der Rest der Familie sich unterhält oder wenn sich ein Kind auf einer Geburtstagsfeier ein Buch schnappt und sich unbeteiligt in eine Ecke verzieht, dann neigen manche dazu, diesen Kindern Unhöflichkeit und vieles andere zu unterstellen, weil sie sich nicht am Geschehen beteiligen, weil sie nur in ihr Handy starren, weil sie nicht zuhören… – ja, aber sie sind anwesend, genießen trotzdem die Nähe und wissen, dass sie Teil dieser Familie sind, so wie sie sind. Vielleicht brauchen sie gerade Rückzug und das Gefühl von Zugehörigkeit gleichermaßen.

Wenn auch unsere Wohnung jedem Familienmitglied die Möglichkeit gibt,

  • anwesend zu sein, ohne direkt gefordert zu sein,
  • einen Platz zu haben, ohne diesen verteidigen zu müssen und
  • sein zu dürfen, ohne stetig Regeln und Verhaltensregeln befolgen zu müssen,

steigert dies unser Zugehörigkeitsgefühl und das gegenseitige Verständnis füreinander und letztlich das Wohlgefühl aller in der Familienwohnung.

Titelbild von Freepik