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Schönräumen statt Aufräumen

Kürzlich las ich auf LinkedIn von einer Grundschullehrerin, die das wunderbare Wort „schönräumen“ kreiert hat. Die Kinder ihrer Klasse dürfen am Ende des Schultages ihre Tische schönräumen und für den nächsten Tag vorbereiten. Was für eine wundervolle Idee aus mehrerlei Gründen, zu denen ich später noch kommen möchte.

Beim Frühstück erzählte ich meinen Kindern davon. Wie wäre es, wenn sie ihre Zimmer gar nicht mehr aufräumen müssten, sondern nur noch schönräumen, so dass sie sich richtig wohlfühlen? Ich sah ein Glitzern in den Augen meiner Tochter und dass es in ihrem Kopf anfing zu sprudeln vor Ideen. Ich muss nicht erwähnen, dass auch meine Kinder, wie wohl die meisten, nicht in Jubelschreie verfallen, wenn es um das Aufräumen geht.

„Ja Mama! Das ist eine gute Idee. Ich mache mir alles richtig schön.“

Ich hatte ehrlich gesagt nicht damit gerechnet. Zwei Stunden später kam ich in ihr Zimmer und fand sie schönräumend an ihrem Schreibtisch. Das war bisher noch nie passiert. Normalerweise ist Überforderung die erste Reaktion. Nee! Aufräumen? – keine Lust. Wo soll ich anfangen? Was gehört wohin? Wozu das alles? Dann braucht es Hilfe und Anleitung. Diesmal war es anders. „Schönräumen“ war das Schlüsselwort.

Was war passiert? Warum ist Schönräumen etwas so anderes als Aufräumen?

Egal ob in Schule oder zuhause, wenn wir den Kindern die Möglichkeit geben, ihren Raum, ihren Bereich, ihr Umfeld selbst zu gestalten, passieren mehrere Dinge:

  1. Gestalten bedeutet personalisieren und sich aneignen. Ich mache es zu meinem Reich. Ich darf es persönlich und nach meinen Wünschen gestalten. Meine Ordnung und mein Ordnungssinn zählen.
  2. Selbstbestimmung führt zu Verantwortungsbewusstsein. Ich bin dafür verantwortlich, dass ich mich in meinem Reich wohlfühle, dass ich meine Dinge wiederfinde und dass sie ihren Platz haben und behalten.
  3. Organisieren lernen. Wenn ich nicht die Ordnung eines anderen vorgegeben bekomme, kann ich meine eigene Ordnung finden und lernen mich selbst zu organisieren.
  4. Teilhabe und Wertschätzung erfahren. Ich habe das Gefühl, mein Wort und mein Handeln sind etwas wert. Ich habe etwas zu sagen und etwas zu gestalten und es wird akzeptiert, so wie ich es tue. Ich kann über einen Bereich selbst bestimmen. Es ist mein Bereich – mein Reich.

In der Schule kommen noch weitere Aspekte dazu. Wenn ein Kind seinen „Arbeitsplatz“ schönräumt, ihn also für den nächsten Tag vorbereitet und selbst entscheiden darf, mit welchen Aufgaben es am nächsten Tag beginnen möchte, hilft ihm diese Selbstbestimmung aus einer inneren Motivation heraus zu lernen. Das Kind lernt sich zu Organisieren, sich die Arbeit einzuteilen und Verantwortung für seine Dinge und seine Arbeit zu übernehmen. Vermutlich sind diese Aspekte auch der Grund, warum ich kein Fan vom willkürlichen Desksharing in Büros bin – aber dazu ein andermal mehr.

Danke, Nora Schüepp, für diese schöne Wort-Erfindung, an die ich nun denken werde, wann immer ich aufräume. Auch wenn mir natürlich klar ist, dass das Schönräumen trotzdem nicht immer gelingen wird.

Titelbild von master1305 auf freepik