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Was ein Pappteller mit Integration zutun hat

Was ein Pappteller mit Integration zutun hat? Davon möchte ich euch gern erzählen. Anfang März 2022 machten sich tausende Ukrainer:innen auf den Weg über Polen nach Deutschland. Putins Krieg hatte begonnen. Überall wurden Unterkünfte für die Geflüchteten aus dem Boden gestampft. Oder besser: sie wurden mit Hilfe von THW, Feuerwehr und vielen Ehrenamtlichen vorbereitet. Zelte, Gemeindehäuser, leerstehende Kasernen, Krankenhäuser und Turnhallen in kleineren und größeren Gemeinden – viele Räume wurden zu Wohnräumen für Menschen, die in wenigen Stunden alles verloren hatten. So wurde auch die Gemeindehalle in unserem Dorf plötzlich zu einem Quartier für bis zu 60 Menschen – meist Frauen und Kinder.

Zur gleichen Zeit befand ich mich mitten in der Ausbildung am Institut für Wohn- und Architekturpsychologie. Ich beschäftigte mich intensiv mit dem Einfluss unserer Räume auf unser Wohlbefinden, mit den Auswirkungen von Fehlern in der Raumzonierung und dem Missachten von Wohnbedürfnissen – Grundbedürfnissen eines jeden Menschen.

Wie fühlt es sich an, ohne Sicherheit zu „wohnen“, ohne Privat- und Intimsphäre, ohne Rückzugsmöglichkeiten in ein eigenes Zimmer, fern der Heimat, mit vielen fremden Menschen auf engem Raum?

Ich überlegte, was man tun könnte, um es den Menschen in so einer Massenunterkunft so angenehm wie möglich zu machen. Was braucht man in einer solchen Situation? Zusammen mit einigen Kolleg:innen von IWAP entwickelten wir zwei Broschüren, die Betroffenen und Helfenden ein paar Tipps geben sollten. In einem Interview erzählen wir von unserer Arbeit damals und der Entstehung dieser Broschüren.

Aber zurück zu den Papptellern. Die Hilfsbereitschaft in unserem Dorf war groß und mein Stolz auf die selbige nicht weniger. Innerhalb von wenigen Stunden hatten wir eine Initiative ins Leben gerufen, die Hilfe bündelte, Spenden sammelte, Angebote organisierte und ein Netzwerk von Ansprechpartnern aufbaute. Neben Kleidern, Hygieneartikeln, Medikamenten, Süßigkeiten, Spielzeug und Kuscheltieren, kümmerten wir uns auch um die räumliche Situation in der Halle. Beschilderung und Informationen in der richtigen Sprache – nun hatte mein jahrelanger Russischunterricht in der Schule und auch frühere berufliche Aufenthalte in der Ukraine noch einen tieferen Sinn. „Unsere“ Flüchtlinge wohnten in Kabinen mit zwei Stockbetten, zwei Metallschränken und einem Stuhl. Privatsphäre bot nur ein Vorhang.

Keine akustische Abschottung, keine abschließbare Tür, keine Möglichkeit, Licht und Dunkelheit selbst zu regulieren, keine selbst bestimmten Essenszeiten, keine Intimsphäre beim Duschen, kein Raum für Privatheit. Kein Platz zum Spielen für die Kinder… ich könnte noch lange so weiter machen.

Die Pappteller – wir wollten die Halle für die Kinder angenehmer gestalten. Die Kabinen waren schlicht mit Nummern beschriftet – die Kinder stolperten immer wieder in fremde Kabinen. Ich überlegte, wie wir ihnen eine bessere Orientierung geben konnten. Eine unserer Helferinnen hatte die Idee, aus Papptellern bunte Tiere zu basteln. Aber wir bastelten nicht allein. Wir luden alle Kinder aus dem Dorf ein, mit uns für die geflüchteten Kinder bunte Tiere zu basteln. Ein schöner Nachmittag – wir malten, klebten und unterhielten uns. Klein und groß. Am nächsten Tag gingen wir stellvertretend für unsere Kinder in die Halle. Die Kinder dort konnten sich selbst ein Tiermotiv für ihre Kabine aussuchen. Sie strahlten. Im Dorf sprach mich immer mal wieder ein Kind an:

„Jana, hängt meine Schildkröte jetzt bei den Flüchtlingskindern? Haben sie sich gefreut?“

Natürlich haben sie sich gefreut. Win win. Die Kinder in der Halle hatten ein bisschen mehr Orientierung, sie konnten sich mit ihrem „Zimmer“ identifizieren und beim Aussuchen ihres Lieblingstieres erfuhren sie auch ein wenig Selbstbestimmung. Die Kinder aus dem Dorf waren stolz, dass auch sie etwas beitragen konnten – helfen, teilhaben und gemeinsam etwas Schönes gestalten.